Die Fratze in St. Georg

Als Fratze wird im umgangssprachlichen Gebrauch meist ein verzerrtes, als abstoßend empfundenes Gesicht bezeichnet. In St. Georg ist eine solche Fratze in der vordersten Säule auf der Südseite des Mittelschiffes eingeritzt. Die große, aber versteckt anmutende Figur zeigt einen Kopf in einer nach links ausgerichteten Profilansicht. Der Kopf hat mit Hals eine Höhe von 62 cm und ist 50 cm ... mehr anzeigenAls Fratze wird im umgangssprachlichen Gebrauch meist ein verzerrtes, als abstoßend empfundenes Gesicht bezeichnet. In St. Georg ist eine solche Fratze in der vordersten Säule auf der Südseite des Mittelschiffes eingeritzt. Die große, aber versteckt anmutende Figur zeigt einen Kopf in einer nach links ausgerichteten Profilansicht. Der Kopf hat mit Hals eine Höhe von 62 cm und ist 50 cm breit. Auf den ersten Blick scheint dieses „Graffito” wenig mit dem offiziellen Bilderschmuck dieser Kirche zu tun zu haben.

Da in der Ritzung Reste einer gotischen Farbfassung gefunden wurden, kann die Fratze jedoch auf eine Zeit um 1300 datiert werden. Weitere Farbfassungen deuten auf eine überraschend konstante Sichtbarkeit. Bei genauerem Nachdenken ergeben sich dann auch überraschende Bezüge dieser peripheren Figur zu den zentralen Teilen des Bildprogramms, die sie wie eine nachträgliche Glosse erscheinen lassen. weniger anzeigen

  • Abb. 1 von 6 - Bildquelle: Verena Meckel

    Die Form der Gesichtszüge und die herausgestreckte Zunge verleihen der Fratze eine groteske, dämonische Wirkung. In doppelter Lebensgröße erscheint der Kopf monströs, die Augen leer und leblos. Das Alter und die fortdauernde Sichtbarkeit geben der Figur einen eigenartigen Status: steht das Einritzen der Figur für eine apotropäische Handlung? Verkörpert die Fratze eine Gefahr, die gebannt werden soll, aber stets auf die Gläubigen lauert?

  • Abb. 2 von 6 - Bildquelle: Verena Meckel

    Die Fratze ist ein nachträgliches Graffito, das sich in das die Kirche bestimmende Thema einschreibt: die Bannung des Dämonischen. Die zeitliche Entstehung der Fratze konnte durch bauhistorische Untersuchungen eingegrenzt werden. Diese ergaben, dass sich eine schwarzgraue Farbschicht, die in die Ritzungen der Fratze eingedrungen ist, mit gotischen Veränderungen des Bilderzyklus deckt. Die Fratze muss also vor den gotischen Übermalungen entstanden sein und kann daher – übereinstimmend mit kulturhistorischen Überlegungen – auf eine Zeit um 1300 datiert werden.

  • Abb. 3 von 6 - Bildquelle: Verena Meckel

    Die erste Szene im Wunderzyklus zeigt die Heilung des Besessenen von Gerasa. Die Dämonen des Besessenen fahren in die Schweine, die sich ins Wasser und in den Tod stürzen. Auffallend ist, dass der Betrachter – steht er mit Blick auf die Fratze vor der Säule – gleichzeitig auch die Dämonen der Wunderdarstellung sehen kann. Die heraushängende Zunge der Fratze korrespondiert mit dem Dämon, der dem Besessenen der Wunderszene aus dem Mund entweicht. Ist die Fratze also eine Art Kommentar zur ersten Wunderszene?

  • Abb. 4 von 6 - Bildquelle: Verena Meckel

    Bei den gotischen Überarbeitungen in St. Georg wurde das Motiv des Dämonischen erneut thematisiert. Auf der Nordwand des Mittelschiffs ist eineKuhhaut abgebildet, die von vier Dämonen aufgespannt wird. Sie tragen einen weiteren Dämon, der Flöte spielt.

  • Abb. 5 von 6 - Bildquelle: Verena Meckel

    Der auf der Kuhhaut sitzende Dämon grinst schelmenhaft, fast bösartig, seine Ohren sind lang und verlaufen wie Teufelshörner nach oben hin spitz zu. Im Mittelalter gewinnt der Teufel als schrecklichster aller Dämonen immer mehr an Bedeutung. Er wird von der katholischen Kirche als Erziehungsmethode instrumentalisiert. Dahinter steckt die Absicht, den Menschen die permanente Gefahr der Verführung vor Augen zu halten und sie zur Gottesfrömmigkeit zu ermahnen. Um der Bevölkerung ein Bild der Abschreckung zu geben, wurden Dämonen zunehmend hässlich, mit Attributen wie Hufen, Hörnern und Teufelsschwänzen, sowie mit geistesabwesenden und seelenlosen Zügen dargestellt.

  • Abb. 6 von 6 - Bildquelle: Verena Meckel

    Auch der Teufel in der linken unteren Ecke der Kuhhaut lässt sich in die kultur- und kunsthistorische Entwicklung des Dämonen-Motivs einordnen. Er weist spitze Ohren, Klauenfüße und einen Teufelsschwanz auf, während er an einem Huf der Haut zieht und den Kopf widernatürlich weit über die Schulter gedreht hat. Besonders auffallend im Vergleich zur Fratze sind seine Augen und der Mund, an dem sich ikonoklastische Spuren finden lassen. Genau wie bei der Fratze scheinen die Augen des Dämons leer zu sein, der Mund wird als Körperöffnung mit wulstigen Lippen und erneut ausgekratzter Zunge stark betont.