1320: Bildprogramm der Gotik

Besonders erstaunlich an den Spitzbogenfenstern der Mauritiusrotunde sind deren schlichte figürliche Darstellungen, die zudem doppelt auftauchen: Gleich zwei Mal ist Christus am Kreuz und darüber sein Antlitz zu sehen. Auch die prachtvolle Michaelsscheibe ist in ihrer Monumentalität ungewöhnlich und zeugt von der Fertigkeit der Konstanzer Glasmaler-Werkstatt.

Die außergewöhnliche ...

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Besonders erstaunlich an den Spitzbogenfenstern der Mauritiusrotunde sind deren schlichte figürliche Darstellungen, die zudem doppelt auftauchen: Gleich zwei Mal ist Christus am Kreuz und darüber sein Antlitz zu sehen. Auch die prachtvolle Michaelsscheibe ist in ihrer Monumentalität ungewöhnlich und zeugt von der Fertigkeit der Konstanzer Glasmaler-Werkstatt.

Die außergewöhnliche Komposition und Ikonografie der Fenster ist auf den Kontext der Rotunde abgestimmt: Ihre hoch oben positionierten Motive sind von jedem Standpunkt im Raum über das Heilige Grab hinweg sichtbar. Sobald der Betrachter den Rundbau betritt, wird er mit einem Blick in die Höhe an die Kreuzigung Christi erinnert. Sie erscheint als in die Ferne gerücktes Golgota, von dem der Leichnam Christi in den darunter stehenden Grabbau gelegt wird. So wird seine Funktion als Aufbewahrungsort des Opferleibes Christi während der Kartage verdeutlicht. Der tote Erlöser soll im Grabbau imaginiert und so auch seine Passion kontempliert werden.

Die Christusporträts gaben den zeitgenössischen Betrachtern einen Ausblick auf die übersinnliche Schau Gottes im Jenseits. Sie zeugen von dem seit dem 13. Jahrhundert wachsenden Schaubedürfnis Gläubigen, die sich danach sehnten, das unverhüllte Antlitz Gottes zu sehen. Der Drachenkampf des Hl. Michaels bedeutete hingegen als Symbol für den Sieg über den Tod eine eindrucksvolle Bestätigung des Erlösungsversprechens. Er ist ein deutlicher Hinweis auf die Funktion der Rotunde als Grabeskirche und Schwellenort, der den hier Bestatteten den Eingang ins jenseitige Leben erleichtern sollte. Somit ergibt sich ein anschauliches Zusammenspiel von Grabgehäuse und Fenstern: Die Passion und Auferstehung Christi werden in ein Netz von erlösungs- und jenseitsverheißenden Bedeutungen eingebunden. weniger anzeigen

  • Abb. 1 von 2 - Bildquelle: Felix Thürlemann

    Die originalen Fensterscheiben aus der Mauritiusrotunde in ihrem heutigen Zustand im sogenannten Konstanzer Fenster des Freiburger Münsters. Zu sehen sind die hochgotischen Glasmalereien von 1317/20 und spätgotische Glasscheiben von 1430, die später in die Fenster der Rotunde eingefügt wurden. Im rechten Teil des Fenster ist die Kreuzigungsgruppe des Klingenbergfensters mit den beiden Stifterfiguren angebracht. In den Spitzbögen der Lanzette sind die Christusporträts und darüber der Hl. Michael beim Drachenkampf dargestellt. Der Gekreuzigte des Ornamentfensters und weitere Scheiben befinden sich im Augustiner Museum. Rund 500 Jahre bildeten die Glasmalereien den Fensterschmuck der Rundkirche bis sie 1818 im Zuge der Auflösung des Bistums Konstanz nach Freiburg gebracht und über dem dortigen Hl. Grab von 1330 eingebaut wurden.

  • Abb. 2 von 2 - Bildquelle: Katrina Weißer

    Die Rekonstruktion der hochgotischen Farbverglasung in der Mauritiusrotunde macht heute sehr gut das gattungsübergreifende Gefüge von Grabarchitektur und Glasfenstern anschaulich. Während die großen Ornamentflächen das Heilige Grab in ein reiches Licht- und Farbenspiel tauchen, erinnern die weit oben positionierten Kreuzigungs- und Christusdarstellungen an die Passion und die jenseitige Gotteschau.