Woran denkt ihr, wenn ihr “Universität Konstanz” hört? Viele haben vermutlich als erstes bemalte Säulen, abstrakte Formen und buntes Glas vor Augen. Zusammen mit den verwinkelten Räumen, untertunnelten Gebäuden und zahlreichen Verbindungswegen ergibt sich ein Baukomplex ohnegleichen. Manch einer versteht, warum sie auf der Plattform Reddit schon mit einer fiktiven Zaubereischule gleichgestellt wurde: Selbst nach Jahren der Arbeit auf dem Campus stolpert man über unbekannte Ecken und Kunst am Bau. Wieso ist die Universität überhaupt so verwirrend konstruiert? Dafür machen wir heute eine kleine Zeitreise in die Entstehungsgeschichte der Universität – und zu den Ansätzen der zuständigen Architekten.
Die Uni wurde erst 1966 gegründet und die ersten Gebäude 1972 bezogen. Architekt Horst Linde arbeitet mit anderen Zuständigen ein hochkomplexes Konzept aus: Zum einen sollte die inhaltliche Nähe zwischen Forschungsdisziplinen verarbeitet werden, quasi als Hommage an die Interdisziplinarität; Jedes Gebäude hat mehrere Zugänge von verschiedenen Fakultäten und Stockwerken. Von der Mensa zur Naturwissenschaft? von der Naturwissenschaft zur Informatik? Von der Literaturwissenschaft zur Rechtswissenschaft? Jede Schwelle eröffnet einen neuen Raum für Verbindung. Zweitens stand die Erreichbarkeit der Versorgungsorgane im Vordergrund: Literatur, Nahrung und Arbeitsplätze sind zentral in der Unibibliothek und der Mensa erreichbar, sie sind das Herz der Uni. Drittens ist die soziale Situation an der Hochschule mitgedacht. Zwischen den Büros und Vorlesungssälen sind breite Gänge und Toiletten alle Nase lang, Sitzgruppen in ungenutzten Ecken, Teeküchen und grüne Innenhöfe laden zum Gespräch zwischen allen Teilnehmer:innen am Universitätsalltag ein. Übrigens wurde auch die Kunst am Bau in die Architektur eingewebt, anstatt nur zuletzt angebracht zu werden.
Was hat das aber mit einem Dorf zu tun? Dafür muss ein Gründungsmythos erläutert werden: Angeblich hat der ehemalige Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger in den 50er Jahren auf dem Rückweg aus seinem Italienurlaub den Gießberg von der Sonne erleuchtet gesehen und beschlossen, auf diesen Berg gehöre eine Universität. (Der Wahrheitsgehalt darf angezweifelt werden: Es gab nämlich neben dem Gießberg auch den Bettenberg als möglichen Kandidaten, von denen sich bekanntlich erster durchgesetzt hat). Die Hanglage sollte bei der Bebauung durch die Architektur nicht ausgeglichen werden, sondern ausgestellt: Hohe Gebäude stehen auf höherem Grund als niedrigere, von der zentralen Gebäudegruppe nach außen wird der Abstand zwischen den Gebäuden größer, die Ausrichtung ist nicht als striktes Raster ausgelegt. Sie bilden eine Struktur wie eine Agora: der Zentrale Innenhof zwischen A, E, G, K, gewissermaßen auch H und F, die Ringverbindungen zwischen verschiedenen Gebäudegruppen und die Hauptverkehrsadern zwischen einzelnen Gebäuden muten wie eine kleine Stadt an. Die Planer sprachen sogar selbst von Gassen und Plätzen wie in einer Altstadt, von Ecken mit entdeckbaren Dingen, die Platzierung der meistbesuchtesten Orte im Zentrum wurde von der generellen Stadtplanung abgekupfert. Im Gegensatz zu amerikanischen Campusgeländen, deren Gebäude einzeln stehen und mit viel Leerraum geschaffen wurden, sollte die Uni Konstanz als zusammenhängendes Dorf umgesetzt werden, um organisch und innovativ ein Paradebeispiel für innovative Architektur für den Menschen darzustellen.
Viele einzelne Gebäude, verbunden durch Gänge, Brücken und Höfe und sich wiederholende Architekturelemente bilden unseren geliebten Campus. Wir verlaufen uns vielleicht ab und zu einmal, landen versehentlich im falschen Gebäude oder öffnen eine Fluchttür beim Versuch, die Uni zu verlassen, aber eigentlich können wir sehr froh sein, in unserer Stadt der Wissenschaft sein zu dürfen. Der Charme unserer Uni liegt doch gerade im Mensaterassenblick über den See, in den Ecken, Teeküchen, Trampelpfaden und der labyrinthischen Struktur. Man läuft sich eben immer zweimal über den Weg – oder drei, vier, fünf…
Die Informationen stammen aus Edinger, Eva-Christina: Wissensraum, Labyrinth, symbolischer Ort. Die Universitätsbibliothek als Sinnbild der Wissenschaft, Konstanz / München 2015 und Linde, Horst: Struktur und Architektur einer Universität. Gedanken zur Planung der Universität Konstanz. In: Sund, Horst; Timmermann, Manfred (Hg.): Auf den Weg gebracht. Idee und Wirklichkeit der Gründung der Universität Konstanz, Konstanz 1979, S. 75-82.