Hochschulgruppe Uni Konstanz

Autor: sophiewiest (Seite 1 von 1)

Die Konstanzer Imperia: Denkmal, Kunst und Wahrzeichen

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Allgemein, Deutsch, Historische Gebäude, Kunst & Architektur

Sie ist ein Wahrzeichen und Portalfigur des Hafens: Seit ihrer Konzeption durch Peter Lenk und der Platzierung am 24.04.1993 auf der alten Pegelmessstelle im Hafenbecken, Laufrichtung nach Osten, ist die Imperia fest im Stadtbild verankert. Die ausgeklügelte Platzierung auf dem Steg ermöglicht die optische Freistellung der 9 Meter hohen Damenfigur, sie drängt sich von jeder Seite zentral ins Blickfeld. Obwohl der visuelle Zugang vom Wasser aus mit den Passagierschiffen, von Norden aus durch den Stadtgarten, vom Süden aus durch die Landzunge Klein Venedig und vom Westen aus durch die Hafenpromenade möglich ist, dreht sie sich und zeigt innerhalb von 4 Minuten jeder:m Betrachter:in ihre Qualitäten.

Ihre schiere Größe unterstreicht den machtvollen Charakter, der ihr eingeschrieben wurde, so kann der Sockel, auf dem sie steht, zu Fuß umrundet werden, wobei zu ihr aufgesehen werden muss, um sie zu betrachten. Auch der Steg, der keinen anderen Weg zulässt als auf die Imperia zu, übernimmt die leitende Funktion, sämtliche Blicke auf der Statue zu zentrieren. Sie kontextualisiert sich auch mit ihrer Umgebung: Sie blickt über die ankommenden Passagiere hinweg und schaut nur in die weite Entfernung, lediglich das Konzilsgebäude im Nordwesten fängt ihren Blick auf. Dies ist kein Zufall: Die Inspiration der Imperia und ihre visuelle Erscheinung nehmen das Konzil im 15. Jahrhundert, eines der bedeutendsten historischen Ereignisse der Stadt, aufs Korn, indem sie sich selbst halbnackt und mit nur einer Robe und Höschen bekleidet, in ihren Händen jedoch die kindhaften Gauklerfiguren als Kaiser und Papst im Adamskostüm präsentiert. Sie zeigt wortwörtlich die weltliche und geistliche Macht in den Händen einer Kurtisane. Die Imperia als satirische, patriarchatskritische Kunst, ‘historisches’ Denkmal und Kultfigur funktioniert nur dort aufgrund ihres Umfelds, sowohl geographisch als auch politisch und kulturell.

Die symbolische Kraft der künstlerischen Schöpfung ist außerordentlich vielschichtig. Die erste Ebene bezieht sich rein auf das äußere Erscheinungsbild: Eine halb entblößte Kurtisane hält die unbekleideten Repräsentanten der weltlichen und der kirchlichen Macht in den Händen: Sie hat die Macht, zu verstecken, während sie die offiziellen Machthaber entblößt, entwaffnet und zu ihren Untertanen macht.

Die zweite Ebene bezieht sich auf den historischen Hintergrund: Die Vermischung der historischen Figur Imperia Cognati von Rom im späten 15. Jahrhundert, die jedoch nie in Konstanz war, mit dem florierenden Kurtisanengeschäft zur Zeit des Konstanzer Konzils, wie aus der Richental-Chronik hervorgeht, kontextualisiert die Hafenfigur “Imperia” durch den Namen als fiktive Machtfigur und legt nahe, dass die zwei Figuren auf ihren Armen König und später Kaiser Sigismund und einen der Päpste um das Konzil, entweder Gregor XII., Benedikt XIII., Johannes XXIII. oder Papst Martin V. darstellen könnten, die mit ihren Institutionen beide den Reizen der Frau verfallen. Lenk stellt damit die Schattenseite der glänzenden Persönlichkeiten und ihrer Institution aus und nimmt das Patriarchat auf die Schippe. Die Nacktheit der beiden identifizierten Repräsentanten kehrt als Ironisierung die versteckten Seiten nach außen: Zum einen sind die Dienste einer Kurtisane nur zu einem gewissen Grad unbekleidet in Anspruch zu nehmen, zum anderen wird auf den kulturellen, literarischen und sozialen Habitus, Nacktheit mit Verletzbarkeit zu verbinden, verwiesen: In “Des Kaisers neue Kleider” verliert der Kaiser seine Glaubwürdigkeit, indem er nackt vor seine Untertanen tritt; Auf dieses Märchen weist auch die Narrenkappe der Kurtisane hin.

Die dritte Ebene behandelt den Standort, die zeitliche Diskrepanz zwischen der referenzierten Zeit und der Entstehungszeit, und die damit verbundene Konnotation. Eine Statue, um die Neuankömmlinge von Seeseiten zu beeindrucken und die Stadt symbolisch zu schützen, erscheint logisch – da die Imperia jedoch erst in den 1990er Jahren errichtet wurde, fingiert sie eine historische Relevanz und einen architektonischen Wert für die Stadt. Da die Imperia jedoch weder eine historische Statue noch eine historische Figur ist, oder einen historischen Standort hat, hebt sie ihre symbolische Bedeutung umso mehr hervor, wodurch sie sich wiederum einen architektonischen, zeitgenössischen und künstlerischen Wert erschaffen hat.

Weniger eine symbolische Ebene, aber ein wichtiger Umstand, ist die Kritik, die Lenk nach Enthüllung der Statue bekam. Die Erbauung außerhalb Konstanz und Montage in einer Nacht, sowie das gesetzliche Schlupfloch, dass das Grundstück, auf dem die Imperia steht, der deutschen Bahn gehörte, weshalb die Stadträte außer Drohgebärden zu zeigen nichts tun konnten, um die Imperia aus dem Stadtbild zu verdrängen, erzürnte konservative Politiker:innen und andere Bewohner:innen, wie in den Zeitungsarchiven nachzulesen ist. Trotz dieser Meinungen hat das größte Prostituiertendenkmal, das es gibt, es geschafft, sich als Konstanzer Wahrzeichen und Touristenattraktion zu etablieren, und steht seit 2024 sogar unter Denkmalschutz.

Unsere Uni – Unser Dorf

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Allgemein, Deutsch, Historische Gebäude, Konstanz entdecken, Kulturell, Kunst & Architektur

Woran denkt ihr, wenn ihr “Universität Konstanz” hört? Viele haben vermutlich als erstes bemalte Säulen, abstrakte Formen und buntes Glas vor Augen. Zusammen mit den verwinkelten Räumen, untertunnelten Gebäuden und zahlreichen Verbindungswegen ergibt sich ein Baukomplex ohnegleichen. Manch einer versteht, warum sie auf der Plattform Reddit schon mit einer fiktiven Zaubereischule gleichgestellt wurde: Selbst nach Jahren der Arbeit auf dem Campus stolpert man über unbekannte Ecken und Kunst am Bau. Wieso ist die Universität überhaupt so verwirrend konstruiert? Dafür machen wir heute eine kleine Zeitreise in die Entstehungsgeschichte der Universität – und zu den Ansätzen der zuständigen Architekten.

Die Uni wurde erst 1966 gegründet und die ersten Gebäude 1972 bezogen. Architekt Horst Linde arbeitet mit anderen Zuständigen ein hochkomplexes Konzept aus: Zum einen sollte die inhaltliche Nähe zwischen Forschungsdisziplinen verarbeitet werden, quasi als Hommage an die Interdisziplinarität; Jedes Gebäude hat mehrere Zugänge von verschiedenen Fakultäten und Stockwerken. Von der Mensa zur Naturwissenschaft? von der Naturwissenschaft zur Informatik? Von der Literaturwissenschaft zur Rechtswissenschaft? Jede Schwelle eröffnet einen neuen Raum für Verbindung. Zweitens stand die Erreichbarkeit der Versorgungsorgane im Vordergrund: Literatur, Nahrung und Arbeitsplätze sind zentral in der Unibibliothek und der Mensa erreichbar, sie sind das Herz der Uni. Drittens ist die soziale Situation an der Hochschule mitgedacht. Zwischen den Büros und Vorlesungssälen sind breite Gänge und Toiletten alle Nase lang, Sitzgruppen in ungenutzten Ecken, Teeküchen und grüne Innenhöfe laden zum Gespräch zwischen allen Teilnehmer:innen am Universitätsalltag ein. Übrigens wurde auch die Kunst am Bau in die Architektur eingewebt, anstatt nur zuletzt angebracht zu werden.

Was hat das aber mit einem Dorf zu tun? Dafür muss ein Gründungsmythos erläutert werden: Angeblich hat der ehemalige Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger in den 50er Jahren auf dem Rückweg aus seinem Italienurlaub den Gießberg von der Sonne erleuchtet gesehen und beschlossen, auf diesen Berg gehöre eine Universität. (Der Wahrheitsgehalt darf angezweifelt werden: Es gab nämlich neben dem Gießberg auch den Bettenberg als möglichen Kandidaten, von denen sich bekanntlich erster durchgesetzt hat). Die Hanglage sollte bei der Bebauung durch die Architektur nicht ausgeglichen werden, sondern ausgestellt: Hohe Gebäude stehen auf höherem Grund als niedrigere, von der zentralen Gebäudegruppe nach außen wird der Abstand zwischen den Gebäuden größer, die Ausrichtung ist nicht als striktes Raster ausgelegt. Sie bilden eine Struktur wie eine Agora: der Zentrale Innenhof zwischen A, E, G, K, gewissermaßen auch H und F, die Ringverbindungen zwischen verschiedenen Gebäudegruppen und die Hauptverkehrsadern zwischen einzelnen Gebäuden muten wie eine kleine Stadt an. Die Planer sprachen sogar selbst von Gassen und Plätzen wie in einer Altstadt, von Ecken mit entdeckbaren Dingen, die Platzierung der meistbesuchtesten Orte im Zentrum wurde von der generellen Stadtplanung abgekupfert. Im Gegensatz zu amerikanischen Campusgeländen, deren Gebäude einzeln stehen und mit viel Leerraum geschaffen wurden, sollte die Uni Konstanz als zusammenhängendes Dorf umgesetzt werden, um organisch und innovativ ein Paradebeispiel für innovative Architektur für den Menschen darzustellen.

Viele einzelne Gebäude, verbunden durch Gänge, Brücken und Höfe und sich wiederholende Architekturelemente bilden unseren geliebten Campus. Wir verlaufen uns vielleicht ab und zu einmal, landen versehentlich im falschen Gebäude oder öffnen eine Fluchttür beim Versuch, die Uni zu verlassen, aber eigentlich können wir sehr froh sein, in unserer Stadt der Wissenschaft sein zu dürfen. Der Charme unserer Uni liegt doch gerade im Mensaterassenblick über den See, in den Ecken, Teeküchen, Trampelpfaden und der labyrinthischen Struktur. Man läuft sich eben immer zweimal über den Weg – oder drei, vier, fünf…

Die Informationen stammen aus Edinger, Eva-Christina: Wissensraum, Labyrinth, symbolischer Ort. Die Universitätsbibliothek als Sinnbild der Wissenschaft, Konstanz / München 2015 und Linde, Horst: Struktur und Architektur einer Universität. Gedanken zur Planung der Universität Konstanz. In: Sund, Horst; Timmermann, Manfred (Hg.): Auf den Weg gebracht. Idee und Wirklichkeit der Gründung der Universität Konstanz, Konstanz 1979, S. 75-82.