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Bachelorarbeit: Herculis Vita – Ein Beitrag zur Herrscherikonographie Rudolfs II. in Prag

Ein Abstract zur Bachelorarbeit von Janina Burandt

1. Auftakt

Im Jahre 1642 veröffentlichte der Künstlerbiograph Carlo Ridolfi die Vita des venezianischen Malers Jacopo Robusti, genannt Tintoretto, beinahe 50 Jahre nach dessen Tod. Ridolfi beschrieb darin unter anderem vier Gemälde, die Tintoretto für den habsburgischen Kaiser Rudolf II. angefertigt habe:

Per Ridolfo II. Imperadore dipinse quattro quadri di favole per le sue stanze, con figure à par del vivo. Le Muse in uno, che ridotte in un giardino formano un concerto di Musica con varij stromenti. Giove nell’altro, che arreca al seno di Giunone Bacco fanciullo nato di Semele. Il terzo era di Sileno entrato nel buio nel letto di Hercole, credendosi goder d’Iole, & Hercole medesimo nel quarto, che si mira in ispecchio adornato di lascivie feminili dall’istessa Iole1.

Zur Zeit der Veröffentlichung der Vita war die Sammlung Rudolfs II. bereits nicht mehr vollständig, da sich nach dessen Ableben 1612 Streitigkeiten unter seinen Geschwistern und Nachfolgern entwickelten, die zu einer allmählichen Aufteilung der Sammlung in verschiedene habsburgische Länder führte2. Zudem entwendeten die Schweden kurz vor Ende des Dreißigjährigen Krieges eine Vielzahl an Kunstwerken aus der Prager Burg als Kriegsbeute und leisteten somit ihren Anteil an der weiteren Verstreuung der Werke3. Die Rekonstruktion der rudolfinischen Sammlung ist bis heute eine schwierige Aufgabe, da erhaltene Inventare nur bestimmte Gruppen von Kunstgegenständen umfassen und dementsprechend keinen vollständigen Überblick über die kaiserliche Sammlung bieten können4 oder nach Rudolfs Herrschaft angefertigt wurden5 und demnach dem Anspruch auf Vollständigkeit nicht gerecht werden. Außerdem gibt es Indizien dafür, dass bestehende Inventare im Laufe der Zeit verloren gingen6. Auch die von Ridolfi erwähnten Werke Tintorettos sind teilweise in den Inventaren enthalten, wenn auch in fragwürdigen kurzen Deskriptionen. Grundsätzlich lässt sich jedoch festhalten, dass Ridolfis Beschreibung nicht exakt der identifizierten Ikonographie entspricht. So zeigt das Gemälde, das der Vita zufolge Jupiter, Bacchus und Juno enthalten soll, eine Szene aus dem Herkulesmythos, die auch als ‚Entstehung der Milchstraße‘ bekannt ist. Ridolfi benennt außerdem Iole, die Tochter des Königs Eurytos von Oichalia, obwohl die dargestellte Person dem Mythos zufolge als Omphale, die Königin von Lydien7, identifiziert werden müsste. Das literarische Werk, das Tintorettos Gemälden zugrunde liegen könnte, ist Giglio Gregorio Giraldis Herculis Vita, das erstmals 1539 in Basel herausgegeben wurde8. Darin wird die Figur, die bei Ovid noch Omphale genannt wird, als Iole bezeichnet, weshalb die Diskrepanz der Figurenbenennung Ridolfis auf der Kenntnis und Nutzung verschiedener literarischer Traktate basieren könnte9. Die Titel dieser drei Gemälde lauten nachfolgend Die Entstehung der Milchstraße, Herkules verjagt den Satyr aus Omphales Gemach und Herkules und Omphale. Während Die Entstehung der Milchstraße in der Londoner National Gallery ausgestellt ist und sich Herkules verjagt den Satyr aus Omphales Gemach im Besitz des Szépmüvészeti Muzeum Budapest befindet, ist der Aufenthaltsort von Herkules und Omphale unbekannt. Für das vierte Gemälde, die Darstellung der im Garten musizierenden Musen, kommen mehrere Gemälde Tintorettos in Frage10. Zunächst ist jedoch festzuhalten, dass drei der vier Gemälde Szenen aus dem Herkulesmythos thematisieren. Durch den Auftraggeber Rudolf II. liegt eine Verknüpfung dieser Bildmotive mit der habsburgischen Herrscherikonographie, insbesondere dem Hercules Germanicus, nahe.
In der Forschungsliteratur finden sich zahlreiche unterschiedliche Ansätze und Meinungen bezüglich der Bewertung der Relationen zwischen den vier Gemälden im Allgemeinen und der Entstehung der Milchstraße im Besonderen, deren Interpretation in dieser Arbeit sowohl als Schwerpunkt als auch als Ausgangspunkt für einen umfassenderen Zusammenhang dient. Es soll aufgezeigt werden, dass Tintorettos Gemälde Auftragswerke für Rudolf II. waren und er durch die Motivwahl einerseits in eine Genealogie der Habsburger integriert wird und andererseits durch seine künstlerischen Vorlieben heraussticht. Das Aufgreifen des Herkulesmythos in den Werken der Prager Hofkünstler soll als Ausblick in die Argumentation mit einbezogen werden.

  1. Carlo Ridolfi: Vite dei Tintoretto: da Le maraviglie dell’arte. overo, Le vite degl’illustri pittori veneti e dello stato [1648], hg. v. Giovanni Keller, Venedig 1994, S. 76. Die Vita Tintorettos wurde von Ridolfi 1642 erstmals veröffentlicht und zusammen mit den Viten von Marietta und Domenico Tintoretto 1648 erneut publiziert.
  2. Vgl. Heinrich Zimmermann: „Das Inventar der Prager Schatz- und Kunstkammer vom 6. Dezember 1621. Nach Akten des K. und K. Reichsfinanzarchivs in Wien“, in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, Wien 1905, S. XIII-LXXV, hier S. XIV. Einen Überblick über die allmähliche Verteilung der Sammlungen aus Prag gibt Elišká Fučiková in einem 1998 publizierten Artikel. Vgl. dies.: „Das Schicksal der Sammlungen Rudolfs II. vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges“, in: Klaus Bußmann, Heinz Schilling (Hg.): 1648. Krieg und Frieden in Europa, Bd. 2, Münster 1998, S. 173-180.
  3. Ein entsprechendes Inventar der Sammlung von Christina von Schweden wurde von Olof Granberg veröffentlicht und beinhaltet die Neuzugänge aus Prag. Vgl. ders.: La Galerie de Tableaux de la Reine Christine de Suède ayant appartenu auparavant a l’empereur Rodolphe II plus tard aux Ducs d’Orleans. Recherche historique et critique, Stockholm 1897.
  4. Vgl. z.B. das Inventar von 1607-1611, in: Rotraud Bauer, Herbert Haupt (Hg.): Das Kunstkammerinventar Kaiser Rudolfs II., 1607-1611, Reihe Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien, Bd. 72 (neue Folge Bd. XXXVI), Wien 1976.
  5. Vgl. z.B. die Inventare von 1621, 1635 und 1644 in Zimmermann 1905 und 1648 in Granberg 1897.
  6. Vgl. Zimmermann 1905, S. XIV. Zimmermann schließt aufgrund eines Chronistenberichtes darauf, dass kurz nach Rudolfs II. Tod ein von Matthias initiiertes, umfassendes Inventar angelegt wurde, welches jedoch verschollen ist. Auf Grundlage dieses Inventars sei die Teilung der Prager Schatz- und Kunstkammer unter den Geschwistern Kaiser Matthias, Erzherzog Maximilian III. und Erzherzog Albrecht VII. ausgehandelt worden. Vgl. ebd.
  7. Vgl. Herbert Hunger: Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Mit Hinweisen auf das Fortwirken antiker Stoffe und Motive in der bildenden Kunst, Literatur und Musik des Abendlandes bis zur Gegenwart, Wien 1988, S. 367.
  8. Vgl. Claire Garas: „Le tableau du Tintoret du Musée de Budapest et le cycle peint pour l’Empereur Rodolphe II“, in: Bulletin du Musées Hongrois des Beaux-Arts, Bd. 30, Budapest 1967, S. 29-48, hier S. 40.
  9. Vgl. Garas 1967, S. 41f.
  10. Vgl. Carlo Bernari, Pierluigi de Vecchi: L’opera complete del Tintoretto, Reihe Classici dell’Arte. Bd. 36, Mailand 1970, S. 125f.

Während ihres Bachelorstudiums beschäftigte sich Janina Burandt vornehmlich mit Ikonographie und Kunsttheorie der Frühen Neuzeit sowie Fragen aus der interdisziplinären Zusammenarbeit von Kunst- und Restaurierungswissenschaften. Nach ihrem Bachelorabschluss im Sommer 2017 begann sie den konsekutiven Masterstudiengang LKM mit Schwerpunkt Kunstwissenschaft, ebenfalls an der Universität Konstanz. In den bisherigen Themenfeldern bilden sich langsam Zentren des Interesses heraus: Vor allem kunsttheoretische Aspekte des 17. Jahrhunderts, wobei die Kunst Spaniens besonders in den Fokus rückt, und bildüberschreitende Phänomene sind Gegenstand ihrer aktuellen kunstwissenschaftlichen Arbeiten.

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