Der Herrscher der Sinne

Das Herrscherbildnis an der rechten Ostwand ist frontal zum Betrachter ausgerichtet. In ein grünes Gewand mit rotem Mantel gekleidet, thront eine bekrönte Figur. Der Umhang des Herrschers wird durch eine rautenförmige Spange auf Brustbeinhöhe zusammengehalten. Die Thronbank mit hohem Sockel hat einen eher schlichten Aufbau, eine Rückenlehne kann nicht eindeutig ausgemacht werden. Die ... mehr anzeigenDas Herrscherbildnis an der rechten Ostwand ist frontal zum Betrachter ausgerichtet. In ein grünes Gewand mit rotem Mantel gekleidet, thront eine bekrönte Figur. Der Umhang des Herrschers wird durch eine rautenförmige Spange auf Brustbeinhöhe zusammengehalten. Die Thronbank mit hohem Sockel hat einen eher schlichten Aufbau, eine Rückenlehne kann nicht eindeutig ausgemacht werden. Die Krone ist als stilisierter Blattkranz gestaltet. Das blonde Haar des Königs ist kinnlang.

Um den Herrscher sind fünf Tiere gruppiert. Links oben nähert sich fast schon bedrohlich ein schwarzes Wildschwein, darunter fixiert den König ein Vogelkopf. Auf Höhe des steinernen Sockels ist noch schwach eine Spinne zu erkennen. Rechts schließen sich, kaum noch erkennbar, Reste einer Affengestalt, darüber ein liegendes Raubtier an (vgl. Mosbruggers Kopie, Abb. 2). Dass die Szene als Allegorie zu verstehen ist, verdeutlichen schwarze Linien, die in freien und doch präzisen Schwüngen die Tiere mit dem zugeordneten Sinnesorgan verbinden. Die Linien sind ein ungewöhnliches Darstellungsmittel, da sie keinen Gegenstand bezeichnen, sondern die allegorische Beziehung verdeutlichen. Mit dem ausgestreckten linken Zeigefinger scheint die Gestalt das Schaubild selbst auslegen zu wollen. Der Schlüssel findet sich in Thomas von Cantimprés Liber de natura rerum. Dort werden die Sinne der Menschen mit angeblich überlegenen Sinnesvermögen der Tiere verglichen: der Geier kann feiner riechen, der Eber besitzt ein schärferes Gehör, der Luchs kann besser sehen, der Affe präziser schmecken und die Spinne verfügt über einen ausgeprägteren Tastsinn.

Der Auftraggeber beweist mit dem Bild seine literarische Bildung und seinen Sinn für originelle und vielschichtige Umsetzungen. Schon das Schaubild mit den fünf Tieren ist eine sehr ungewöhnliche Darstellung. Originell und sinnreich ist aber auch die Auswahl des Schaubilds als Pendant zum Löwenkampf: wird der Mensch dort eindeutig als Herrscher über das Tier und damit - im Sinn der Allegorie - auch als Sieger über seine eigene Sinnlichkeit gezeigt, ist das Verhältnis auf der anderen Seite nicht mehr so eindeutig. Der Herrscher zeichnet sich dadurch aus, dass er seine Sinne nicht einfach kontrolliert und einschränkt, sondern verfeinert. Die Tiere mutieren in dieser Hinsicht zum Vorbild. weniger anzeigen

  • Abb. 1 von 4 - Bildquelle: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz

    Sinnenallegorie

    Die "Sinnenallgorie" an der rechten Ostwand ist mit einer Größe von 100 cm x 60 cm wesentlich kleiner als der Löwenkämpfer.

  • Abb. 2 von 4 - Bildquelle: Nachzeichnung von Joseph Mosbrugger, um 1864, Städtische Museen Konstanz

    Sinnenallegorie

    Nos aper auditu, linx visu, simia gustu,
    Vultur odoratu precedit, aranea tactu.

    (Thomas Cantimpratensis, In: Wunderlich 1996, 46)

    Der Eber hört besser, der Luchs sieht schärfer, der Affe hat einen feineren Geschmack, während der Geier besser riecht und die Spinne sensibler tastet.

  • Abb. 3 von 4 - Bildquelle: Württembergische Landesbibliothek, HB XIII 1, S. 1, Weingartner Liederhandschrift (Nutzung gemäß Public Domain Mark 1.0)

    Herrscherbild von Kaiser Heinrich VI., Weingartner Liederhandschrift, Konstanz, Anfang 14. Jh.

    Die Herrscherfigur der Sinnenallegorie weist in Sitzhaltung, Haartracht und Krone große Ähnlichkeit zu dieser Darstellung Heinrichs VI. in der Weingartner Liederhandschrift auf.

  • Abb. 4 von 4 - Bildquelle: Wheel of the Senses, Longthorpe Tower, Peterborough, Cambridgeshire, UK, ca. 1320–1340

    Wheel of the Senses

    In einem Speicherturm des englischen Städtchens Longthorpe bei Peterborough (Cambridgeshire) ist um 1320-40 eine vergleichbare Sinnenallegorie als Wandmalerei entstanden Die fünf Tiere sind hier den fünf Speichen eines Rads zugeordnet, hinter dem eine Herrscherfigur steht. Auch hier steht die Spinne (in ihrem Netz) für den Tastsinn, das Wildschwein für das Gehör, der Geier für den Geruch und der Affe für den feinen Geschmacksinn. Ander als in Konstanz wird das scharfe Sehen (unten rechts) durch einen Hahn symbolisiert.