Parzival und Jeschute (2. Buch, 129,16ff)

Die nach bisheriger Zählung sechste Szene des Parzivalzyklus zeigt ein Zelt mit Giebeldach. Links und rechts sind jeweils zwei Seile vom Dachansatz zum Boden gespannt. Rechts sieht man sogar zwei eingeschlagene Zeltnägel. Die bogenförmige Öffnung an der Vorderseite gibt den Blick in das Zeltinnere frei. Dort ist wie in der ersten Szene ein Bett zu sehen, in welchem eine gekrönte Frau mit ... mehr anzeigenDie nach bisheriger Zählung sechste Szene des Parzivalzyklus zeigt ein Zelt mit Giebeldach. Links und rechts sind jeweils zwei Seile vom Dachansatz zum Boden gespannt. Rechts sieht man sogar zwei eingeschlagene Zeltnägel. Die bogenförmige Öffnung an der Vorderseite gibt den Blick in das Zeltinnere frei. Dort ist wie in der ersten Szene ein Bett zu sehen, in welchem eine gekrönte Frau mit langen blonden Haaren liegt, ihr Oberkörper lehnt aufrecht am rechten Bettende. Auch die Haltung der Dame, sowie das faltenreiche rote Tuch erinnern stark an Herzeloydes Darstellung in der Geburtsszene. Vor dem Bett steht ein junger Mann in einem kurzen Kleid und mit einem spitz zulaufenden Hut. Er trägt einen roten Bogen über die Schulter gehängt und liebkost die Wange der Frau. Sie reagiert mit einer Umarmung und hält seinen Oberkörper mit beiden Händen umfangen. Auf der linken und rechten Seite des Zeltes ist jeweils ein Maultier zu sehen. Beide sind in der Bewegung nach rechts dargestellt.

Gezeigt ist hier Parzivals Besuch bei Jeschute, der Gemahlin des Herzogs Orilus von Lalant. Sie ist in Wolframs Epos die erste Dame, der Parzival nach dem Abschied von seiner Mutter begegnet. Ein weiteres mal wird hier die dreiste Naivität Parzivals ausgemalt: Er dringt in das Zelt der vornehmen Dame ein, findet die wunderschöne Frau in Abwesenheit des Gatten schlafend vor und entsinnt sich der Ratschläge, die seine Mutter ihm mit auf den Weg gegeben hat: "Kannst du von einer edlen Frau Ring und freundlichen Gruß erringen, so greife zu, denn es vertreibt alle trüben Gedanken. Zögere nicht lange beim Küssen und schließe sie fest in die Arme." (Spiewok, Band 1, S. 219ff.). So schreitet Parzival ohne große Überlegung zur Tat, ringt der entrüsteten Jeschute Umarmungen und Küsse ab und stiehlt ihr schließlich ihren Fingerring und eine Brosche.

Entgegen der Beschreibung bei Wolfram erscheint die Umarmung im Konstanzer Bilderzyklus einvernehmlich. Weder ist ein Kampf zwischen der aufgebrachten Jeschute und Parzival zu sehen, noch liegt er zudringlich bei ihr im Bett. Parzival wird in der Jeschuteszene durch seinen Bogen identifiziert, er wird mit demselben Attribut wie bei der Jagd im Wald von Soltane gezeigt, allerdings lässt die Szene auch an den Bogen des kleinen Amor denken. Jeschute kann mit Herzeloyde in der ersten Szene verglichen werden: beide Frauen sind in einer Schauöffnung zu sehen und liegen in vergleichbarer Haltung bekrönt auf einem Bett unter einer roten Decke. Das symmetrisch wiederholte Motiv wirkt wie eine Klammer um die ersten sechs Szenen, die den jugendlichen, noch sehr naiven Parzival zeigen: Nach Mutter und Amme begegnet er seiner ersten "Geliebten". weniger anzeigen

  • Abb. 1 von 3 - Bildquelle: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz

    Parzival und Jeschute

    Diu vrouwe was entslâfen.
    si truoc der minne wâfen,
    einen munt durchliuhtic rôt,
    und gerndes ritters herzen nôt.

    (130, 3-6)

    Die edle Frau war eingeschlafen. Ihr Mund war brennendrot, Waffe der Liebe und Herzensqual des liebesdurstigen Ritters.
    (Spiewok, Band 1, S. 223)

  • Abb. 2 von 3 - Bildquelle: Burgerbibliothek Bern, Cod. AA 91 (A), f. 23r, Berner Parzival-Handschrift digital (Nutzung gemäß CC BY-NC-SA 4.0)

    Parzival bei Jeschute

    Überschrift über fol. 23r (Klicken Sie auf das Bild für eine Gesamtansicht von Bild und Text): Hie rittet barczifal vsz vnd gnadet siner můtter vnd kompt czu einer herczogin die schlieff vnder einem gezellt alein

    Die Berner Handschrift zeigen Jeschute schlafend. Parzival wird hier eindeutig in ein Narrenkleid gehüllt.

  • Abb. 3 von 3 - Bildquelle: Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 339, f. 99v, Wolfram , Parzival (Band 1) (Nutzung gemäß CC BY-SA 4.0)

    Parzival bei Jeschute

    Überschrift über fol. 99v (Klicken Sie auf das Bild für eine Gesamtansicht von Bild und Text): Also der knappe mit den cleinotem vngesegent von der fröwen schiet.

    In der Heidelberger Handschrift verlässt Parzival Jeschute, die sich hier in einer Burg befindet, und trägt die erbeuteten Schmuckstücke stolz vor sich her.