Gurnemanz belehrt Parzival (169, 21 ff.)

Bei der nächsten Episode des mittleren Bildstreifens handelt es sich wiederum um eine Tischszene. Zwei Personen sitzen hinter einem mit Speisen und einem nur noch zu erahnenden Krug gedeckten Tisch. Von der rechten Figur in hellgrünem Gewand ist gerade noch zu erkennen, dass sie den Kopf dem Tischgenossen zuwendet. Sein Gegenüber mit kinnlanger Frisur trägt ein rotes Gewand und ... mehr anzeigenBei der nächsten Episode des mittleren Bildstreifens handelt es sich wiederum um eine Tischszene. Zwei Personen sitzen hinter einem mit Speisen und einem nur noch zu erahnenden Krug gedeckten Tisch. Von der rechten Figur in hellgrünem Gewand ist gerade noch zu erkennen, dass sie den Kopf dem Tischgenossen zuwendet. Sein Gegenüber mit kinnlanger Frisur trägt ein rotes Gewand und gestikuliert als Zeichen der Gesprächssituation. Der Tisch mit faltenreich überhängender Decke wird links vom turmartigen Gebäude der benachbarten Willkommensszene überlappt, was ihn als dem selben Ort zugehörig markiert.

Nach einer ersten Nacht in der Burg von Gurnemanz wird Parzival dem Hofzeremoniell entsprechend gebadet und neu eingekleidet. Wolfram berichtet, wie schwierig es war, den Jüngling dazu zu überreden, sein Narrenkleid auszuziehen. Nach der Messe wird der Gast beim Mahl befragt, woher er komme. Spätestens beim Bericht von Ithers Tod wird Gurnemanz klar, dass sein Gast der Unterweisung in eritterlichen Tugenden bedarf. Und so beginnt er direkt nach der Mahlzeit mit dem Unterricht: "stets solle Parzival schamhaft bleiben, den Armen und Notleidenden gegenüber freigebig und gütig sein, maßvoll und großmütig werden, kindisches Gerede unterlassen und im Fragen vornehm und zurückhaltend bleiben, besiegte Gegner schonen, Frauen respektvoll und ehrerbietig begegnen, Leichtsinn und Falschheit in Dingen der Minne meiden." (Wunderlich 1996, S. 91f.)

In dieser Szene veranschaulicht das Fresko einen inneren Lernprozess durch die Veränderung der visuellen Erscheinung. Parzival – links im Bild – wird, wie auch im Plot des Epos, neu eingekleidet. Diesmal höfisch elegant. Und wiederum in auffallend rote Kleidung: "Scharlachfarben, wenn auch etwas dunkler, waren Rock und Mantel, beide lang herabfallend, ?...?" (Spiewok, Band 1, S. 287). Dass es bei Darstellung dieser Tischszene weniger ums Essen als um das Gespräch der beiden Personen geht, zeigt das Fresko durch die kommunizierenden Gesten der beiden überdeutlich. Laut Ächtler kennzeichnen diese Parzival eindeutig als Fragenden und den alten Fürsten als Erklärenden (vgl. Ächtler 2007, S. 281). Bei den ethisch-moralischen Belehrungen durch Gurnemanz fällt in Wolframs Text auf, wie sehr betont wird, dass für einen Ritter der Schlüssel zu einer guten Lebensführung im richtigen Verhalten den Frauen gegenüber liegt:

›Sît manlîch und wol gemuot:
daz ist ze werdem prîse guot.
und lât iu liep sîn diu wîp:
daz tiuret junges mannes lîp.‹

(172, 7-10)

»Seid manneskühn und frohgemut zugleich, dann werdet Ihr Ruhm gewinnen. Und schließt die Frauen in Euer Herz, das veredelt den Jüngling.«

(Spiewok, Band 1, S. 293f.)

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  • Abb. 1 von 2 - Bildquelle: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz

    Parzival bei Gurnemanz

    dô giengen si ûf den palas,
    aldâ der tisch gedecket was.
    der gast ze sîme wirte saz,
    die spîse er ungesmaehet az.

    (169, 21-24)

    Danach gingen sie in den Palast, wo der Tisch schon gedeckt war. Der Gast nahm Platz an der Seite des Burgherrn und ließ sich das Essen schmecken.
    (Spiewok, Band 1, S. 289)

  • Abb. 2 von 2 - Bildquelle: Österreichische Nationalbibliothek Wien, Cod. 2914, f. 106r, Wolfram von Eschenbach, Parzival

    Parzivals Erziehung durch Gurnemanz

    Wie parcifal ze Gurnemanze kam und in der zuht und wicze lerte

    Dô man den tisch hin dan genam,
    dar nâch wart wilder muot viel zam.
    der wirt sprach zem gaste sîn
    ›ir redet als ein kindelîn.
    wan geswîgt ir iuwerre muoter gar
    und nemet anderre maere war?
    habt iuch an mînen rât:
    der scheidet iuch von missetât.‹

    (170, 7-14)

    Nachdem man die Tafel aufgehoben hatte, begann die Erziehung des ungebärdigen Parzival. Der Burgherr sprach nämlich zu seinem Gast: »Ihr plappert wie ein unmündiges Kind. Warum laßt Ihr nicht endlich Eure Mutter aus dem Spiel und sprecht von andern Dingen? Haltet Euch an meinen Lehren, und Ihr werdet gut dabei fahren.«
    (Spiewok, Band 1, S. 291)