Zerstörte Szenen: Condwiramurs kommt an Parzivals Bett (191 ,27ff.) & Parzival besiegt Kingrun im Zweikampf (196, 24ff.)

Mit der nur noch teilweise sichtbaren Fackelszene in Pelrapeire endet heute der mittlere Bildstreifen des Parzivalfreskos. Welche Szenen die Sequenz ursprünglich – vor dem Einbau der Tür im 19. Jahrhundert – abgeschlossen haben könnten, bietet Anlass zur Spekulation.

Zur bildlichen Umsetzung bieten sich in dem entsprechenden Abschnitt des Romans zwei Handlungsmomente besonders an: zum ...

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Mit der nur noch teilweise sichtbaren Fackelszene in Pelrapeire endet heute der mittlere Bildstreifen des Parzivalfreskos. Welche Szenen die Sequenz ursprünglich – vor dem Einbau der Tür im 19. Jahrhundert – abgeschlossen haben könnten, bietet Anlass zur Spekulation.

Zur bildlichen Umsetzung bieten sich in dem entsprechenden Abschnitt des Romans zwei Handlungsmomente besonders an: zum einen der heimliche Besuch Condwiramurs an Parzivals Bett in dessen erster Nacht in Pelrapeire und der darauffolgende Zweikampf zwischen Kingrun, dem Seneschall des Belagerungsheeres, und Parzival. Für den Kampf, aus dem Parzival als Sieger hervorgeht, spricht laut Ächtler (2007), dass bereits der obere Bilderstreifen sehr wahrscheinlich mit einem Kampf (Parzival tötet Ither) endete. Die kompositorische Entsprechung käme damit auch einer moralischen Steigerung gleich: vom habgierigen Mord der dem Eigennutz dient, zum ritterlichen Zweikampf im Namen einer hilflos bedrängten Königin.

Freilich könnte zuvor auch dargestellt gewesen sein, wie Condwiramurs von ihren eigenen Kammerzofen unbemerkt mitten in der Nacht im weißen Seiden-Nachthemd, einem "hemde wîz sîdîn" (192, 15) zum schlafenden Parzival schlich, um diesen um Rat und helfende Tat gegen die Belagerer anzuflehen. Dafür spricht auch die Fackelträgerin, die eine nächtliche Szene zu eröffnen scheint. Verständlicherweise bietet die auf rührend-unbeholfene Art keusche Nacht mit ihrer Umkehrung der klassischen Geschlechter-Initiative viel Raum zur imaginativen Ausgestaltung.

Dass auf dem Konstanzer Fresko zuvor auch dargestellt gewesen sein muss, wie Condwiramurs von ihren eigenen Kammerzofen unbemerkt mitten in der Nacht im weißen Seiden-Nachthemd, einem "hemde wîz sîdîn" (192, 15) zum schlafenden Parzival schlich, um diesen um Rat und helfende Tat gegen die Belagerer anzuflehen, scheint klar. Dafür spricht nicht nur die Fackelträgerin, die eine nächtliche Szene zu eröffnen scheint. Auch passt diese von Wolfram augenzwinkernd-amüsiert geschilderte erste Annäherung der beiden späteren Eheleute einfach zu gut in die Szenenauswahl des Konstanzer Freskos, die von Parzivals Begegnungen mit Frauen dominiert wird. Diese Szene erscheint ebenfalls in den Illustrationen der Heidelberger und Dresdner Handschriften (vgl. Abb.). Verständlicherweise, bietet doch die auf rührend-unbeholfene Art keusche Nacht mit ihrer Umkehrung der klassischen Geschlechter-Initiative viel Raum zur gestalterischen Ausmalung des bildnerischen Künstlers. Und zur imaginativen des schmunzelnden Betrachters! weniger anzeigen

  • Abb. 1 von 4 - Bildquelle: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz

    Zerstörte Szenen

    Im 19. Jahrhundert, als das Parzivalfresko – unter Putz und Tapete verborgen – in Vergessenheit geraten war, wurden Teile der Parzivaldarstellungen durch den Einbau einer Tür zerstört.

    Wer weiß, ob nicht vielleicht seitdem so manches Felchen den streitenden Parzival beim Kampf gegen Kingrun im Konstanzer Hafenbecken angefeuert hat, wohin der Bauschutt des Durchbruchs geschüttet worden sein könnte?

  • Abb. 2 von 4 - Bildquelle: Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB), Mscr.Dresd.M.66, f. 137r, um 1443-1446, Wolfram von Eschenbach, Parzival, (Nutzung gemäß Public Domain Mark 1.0)

    Condwiramurs an Parzivals Bett

    Also die konigin kam geslichen uber parcifals bette do er an lag und slieff

    dô gienc diu küneginne,
    niht nâch sölher minne
    diu sölhen namen reizet
    der meide wîp heizet,
    si suochte helfe unt vriundes rât.

    (192, 9-13)

    Der Königin war es also nicht um jene Liebe zu tun, die aus Jungfrauen Frauen macht; sie suchte Beistand und den Rat eines guten Freundes.
    (Spiewok, Band 1, S. 327f.)

  • Abb. 3 von 4 - Bildquelle: Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 339, f. 147r, Wolfram , Parzival (Band 1) (Nutzung gemäß CC BY-SA 4.0)

    Condwiramurs an Parzivals Bett

    Überschrift über fol. 147r (Klicken Sie auf das Bild für eine Gesamtansicht von Bild und Text): Also die kunnigin kam geslichen uber parcifals bette do er an lag und slieff

    si sprach ›welt ir iuch êren,
    sölhe mâze gein mir kêren
    daz ir mit mir ringet niht,
    mîn ligen aldâ bî iu geschiht.‹

    (193, 29 - 194, 2)

    Sie aber sprach: »Wenn Ihr mir gelobt, nicht ehrlos zu handeln und begehrlich mit mir zu ringen, dann lege ich mich an Eurer Seite nieder.«
    (Spiewok, Band 1, S. 331)

  • Abb. 4 von 4 - Bildquelle: Burgerbibliothek Bern, Cod. AA 91 (A), f. 38r, Berner Parzival-Handschrift digital (Nutzung gemäß CC BY-NC-SA 4.0)

    Parzival besiegt Kingrun

    Überschrift über fol. 38r (Klicken Sie auf das Bild für eine Gesamtansicht von Bild und Text): Hie strit parczifal mit kyngrun und uber wand im mit gwalt

    Parzival besiegt Kingrun, den Seneschall des Belagerers Clamide, im fairen Zweikampf. Er tötet ihn aber nicht, sondern zwingt ihn, als Bote in die Bretagne zu reisen, um König Artus seine fortbestehende Loyalität zu versichern.