Parzival als Roter Ritter (158, 13ff.) / Tafelrunde bei König Artus (159, 20ff.)

Das nächste Bildfeld zeigt einen Ritter in voller Rüstung, der in Leserichtung auf vier zu Tisch sitzende Personen zureitet. Diese wenden ihre nur noch als Umrisse auszumachenden Gesichter dem Reitenden zu, welcher ihnen auf einem hellroten Ross entgegenprescht. Die Schabracke, der prächtige Überwurf des Pferdes, sowie der Schild des Ritters und alle seine textilen Kleidungsstücke sind ... mehr anzeigenDas nächste Bildfeld zeigt einen Ritter in voller Rüstung, der in Leserichtung auf vier zu Tisch sitzende Personen zureitet. Diese wenden ihre nur noch als Umrisse auszumachenden Gesichter dem Reitenden zu, welcher ihnen auf einem hellroten Ross entgegenprescht. Die Schabracke, der prächtige Überwurf des Pferdes, sowie der Schild des Ritters und alle seine textilen Kleidungsstücke sind in dunklen Rottönen gemalt. Am roten Helm, der hinter dem Rücken des Parzival hängt, ist ein helles in Falten gelegtes Tuch zu erkennen. Die Frauen am Tisch sind an ihren langen Haaren, die Männer an kinnlangen Frisuren zu erkennen. Das Paar am linken Tischrand trägt Kronen. Der Tisch ist mit Geschirr und Speisen reich gedeckt: es gibt Fisch und Brathähnchen. Beine und Füße der Tafelnden werden vom Faltenwurf des Tischtuchs verdeckt.

Schirok, Wunderlich und Ächtler sind sich darin einig, dass hier Parizval in Ithers Rüstung und die Tafelrunde des König Artus dargestellt sind. Die beiden Gekrönten werden als Artus und seine Gemahlin Ginover gedeutet, die zusammen mit dem anderen Paar (vielleicht Gawan und Cunneware?) stellvertretend für die ganze Tafelrunde abgebildet sind. Das Fresko durchbricht an dieser Stelle die Chronologie der Ereignisse in Wolframs Roman. In seiner Erzählung war Parzival vor dem Kampf mit Ither am Artus-Hof in Nantes gewesen und kehrt, nachdem er sich Rüstung und Ross des ermordeten Ither angeeignet hat, nicht an den Hof König Artus’ zurück. In der Konstanzer Darstellung steht der rote Ritter für den naiv-ehrgeizigen Parzival, der sich als Sieger präsentiert. Der "andere" rote Ritter ist aber noch nicht vergessen. Die Damen der Konstanzer Tafelrunde neigen erstaunt ihre Köpfe und heben eine Hand abwehrend vor die Brust. Während die Herren den bildschönen Naturburschen und Möchtegern-Ritter Parzival begrüßen, scheinen die Damen im gleichen Bild noch um ihren alten Helden Ither zu trauern. (vgl. Ächtler, S. 280).

Diese Episode verdeutlicht, dass in der mittelalterlichen Bildlogik Nähe oder gar Überlappung in der Darstellung nicht unbedingt örtliche Kopräsenz innerhalb der Geschichte bedeuten muss, sondern auch für Kausalzusammenhänge stehen kann. Während die Herren also den bildschönen Naturburschen und eifrigen Möchtegern-Ritter Parzival begrüßen, trauern die Damen im gleichen Bild um Ither. Eine Abfolge wird hier überblendet, Ursache und Wirkung werden in einem dargestellt. Auch in Wolframs Text schließt sich der kleine Kreis der rückblickenden Gleichsetzung des früheren und des neuen ‚Roten Ritters‘. Denn Ither begrüßt Parzival, indem er dessen "Mannesschönheit" (Spiewok, Band 1, S. 251) rühmt, genau wie dies das Epos später tun wird, sobald Parzival die Rüstung des getöteten Ithers zum ersten Mal trägt (158, 13ff.). weniger anzeigen

  • Abb. 1 von 5 - Bildquelle: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz

    Parzival am Artushof

    als uns diu âventiure giht,
    von Kölne noch von Mâstrieht
    kein schiltaere entwürfe in baz
    denn alse er ûf dem orse saz.

    (158, 13-16)

    Die Erzählung berichtet, zwischen Köln und Maastricht gäbe es keinen Maler, der ein eindrucksvolleres Bild von ihm hätte malen können, als er es, stattlich zu Pferde sitzend, in Wirklichkeit bot.
    (Spiewok, Band 1, S. 271)

  • Abb. 2 von 5 - Bildquelle: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz

    Parzival, der "rote Ritter"

    Parzival wird hier rückblickend gleichgesetzt bzw. verglichen mit Ither, dem "Roten Ritter", eben jenem Helden, dem Parzival vor den Toren Nantes begegnet, kurz bevor er zum ersten Mal an den Artushof gelangt:

    ez was Ithêr von Gaheviez:
    den rôten ritter man in hiez.
    Sîn harnasch was gar sô rôt
    daz ez den ougen roete bôt:
    sîn ors was rôt unde snel,
    al rôt was sîn gügerel,
    rôt samît was sîn covertiur,
    sîn schilt noch roeter danne ein viur,
    al rôt was sîn kursît
    und wol an in gesniten wît,
    rôt was sîn schaft, rôt was sîn sper,
    al rôt nâch des heldes ger
    was im sîn swert geroetet,
    nâch der scherpfe iedoch geloetet.
    der künec von Kukûmerlant,
    al rôt von golde ûf sîner hant
    stuont ein kopf vil wol ergraben,
    ob tavelrunder ûf erhaben.

    (145,15-146,2)

  • Abb. 3 von 5 - Bildquelle: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz

    Damen an der Tafelrunde

    hin in die stat er [Iwânet] sagte
    des manec wîp verzagte
    und manec ritter weinde,
    der clagende triuwe erscheinde.

    (159, 21-24)

    Dann brach er [Iwanet] auf und verbreitete in der Residenz die Nachricht, die viele Frauen mit Schrecken erfüllte und viele Ritter weinen ließ; ihr Jammer war Zeichen ihrer Treue.
    (Spiewok, Band 1, S. 273)

  • Abb. 4 von 5 - Bildquelle: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz

    Wunderlich (1996, S. 80) weist darauf hin, dass die ritterliche Ausstattung Parzivals genau der eines Ritters aus der Entstehungszeit des Freskos (um 1320) entspricht:
    Beckenhaube ohne Visier mit Maschenkapuze (Kalottenhelm); eiserner Kampfhelm auf der senkrecht mitgeführten Lanze mit Tuch oder Fähnlein hinter dem Reiter; eiserner Ringelpanzer oder Kettenhemd mit langen Ärmeln und Fäustling, die sogenannte Halsberge, unter der man zum Schutz vor Druckstellen und gegen Nässe oder Kälte ein gestepptes Wams anlegte; textiler ärmelloser Waffenrock; Schwert mit kurzem Griff, geraden Parierstangen, langer Klinge mit Blutrinne und gerundetem Ende; umgegürtetes Schwertgehänge mit der Scheide; Stachelsporen; Dreiecksschild zur Deckung des Oberkörpers beim Lanzenstechen; Sattel mit wulstigem Vorderknauf und Hintersteg; Satteldecke; mit Samt oder Seide überzogene, schabrackenartige Kuvertüre über der Decke aus Eisengeflecht als Pferdepanzer vom Kopf bis zu den Sprunggelenken des Reittieres.

  • Abb. 5 von 5 - Bildquelle: Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, f. 149v, Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse) (Nutzung gemäß CC BY-SA 4.0)

    Portrait Wolfram von Eschenbach

    Zufall? Oder wird hier der Autor mit seiner berühmtesten literarischen Figur gleichgesetzt?
    Im prachtvollen Codex Manesse, der ebenfalls um 1320 entstandenen großen Heidelberger Liederhandschrift, wird Wolfram von Eschenbach mit einem rot gezäumten Streitross samt Knappen und einem Wappen auf rotem Grund dargestellt: Ein "Roter Ritter"?