Minnelesart – Text

Auch durch die Texte wird die körperlich-erotische Konnotation des Zyklus verstärkt. Bereits die Tatsache, dass die Texte das Geschehen nicht aus einer übergeordneten Position kommentieren, sondern den Weberinnen in den Mund gelegt werden, sorgt für eine ungewöhnliche Nähe zum Betrachter.

Dabei können die Weberinnen zu durchaus drastischen Formulierungen greifen. Von besonderer ...

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Auch durch die Texte wird die körperlich-erotische Konnotation des Zyklus verstärkt. Bereits die Tatsache, dass die Texte das Geschehen nicht aus einer übergeordneten Position kommentieren, sondern den Weberinnen in den Mund gelegt werden, sorgt für eine ungewöhnliche Nähe zum Betrachter.

Dabei können die Weberinnen zu durchaus drastischen Formulierungen greifen. Von besonderer Bedeutung ist der Titulus zu Bild III, 6 "ich lig hie als all fude sol hinder dem ofen ist mir wol". In seiner Überlänge war er den Bildgestaltern offenbar so wichtig, dass man dafür starke Verschiebungen und Verkürzungen der anderen Tituli in Kauf genommen hat. fude lässt sich wörtlich nicht anders als Vulva übersetzen. Nicht nur, dass hier das weibliche Geschlecht explizit benannt wird. Auch in der ambivalenten Bedeutung als "Spottname für Frauen" oder als metonymische Bezeichnung für ein Mädchen oder eine Magd nimmt die Irritation nicht ab, betrachtet man die dargestellte Frau, die ihrer Kleidung nach weder Magd noch Anlass für Spott ist.

Bei den Abbildungen unten sind weitere Beispiele zusammengestellt, in denen Bilder und Worte zu körperlichen und erotischen Assoziationen einladen. weniger anzeigen

  • Abb. 1 von 10 - Bildquelle: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz (Detail)

    Bild III,5 mit dem zweitlängsten Titulus kommt eine Schlüsselfunktion zu: och du rofst mich swing sich fur dich. Der Betrachter wird (unbeachteter) Zeuge eines Dialogs zwischen den beiden dargestellten Frauen. Durch die Satzkonstruktion kann er sich auch direkt angesprochen fühlen und sich in die Rolle des aktiven oder passiven Mädchens hineinversetzen.

  • Abb. 2 von 10 - Bildquelle: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz (Detail)

    Bild III, 6: ich lig hie als all fude sol hinder dem ofen ist mir wol
    Das Wort fude bezeichnet die Frau mit einem despektierlichen Metonym über ihr Geschlechtsorgan. Auch der Ausdruck hinder dem ofen kann als Umschreibung für den Koitus verwendet werden.

  • Abb. 3 von 10 - Bildquelle: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz (Detail)

    Bild I, 3: hecheln wil ich triben
    Hecheln ist einerseits der Fachbegriff für das Reinigen der Hanffasern. Allerdings kann hecheln auch als "zusammenkommen" im Sinne von Koitus verwendet werden.

  • Abb. 4 von 10 - Bildquelle: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz (Detail)

    Bild I, 4: werch kan ich wol rîben
    Das Werg ist einerseits ein Zwischenprodukt bei der Hanfverarbeitung. Anderseits ist es als Werk auch ein sehr allgemeiner Ausdruck. Wenn das Mädchen "das Werg (Werk) gut reiben" kann, kann man sich wiederum allerlei darunter vorstellen.

  • Abb. 5 von 10 - Bildquelle: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz (Detail)

    Bild I, 5: das leg ich an mit sinnen
    Das werch wird mit sinnen, d.h. mit Gefühl angegangen.

  • Abb. 6 von 10 - Bildquelle: KLD XXVII, aus: Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts, hrsg. von Carl von Kraus

    Ein Vergleichsbeispiel aus der Literatur: in der Pastourelle Gottfrieds von Neifen wird mit dem Lob des Garnwindens ein Wortspiel angezettelt, in dem sich auch das erhoffte körperliche Vergnügen versteckt.

  • Abb. 7 von 10 - Bildquelle: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz (Detail)

    Bild II, 1: garn winden kan ich rein
    Das Attribut des Garnwindens rein kann auch als "keusch" oder "ohne Sünde" übersetzt werden.

  • Abb. 8 von 10 - Bildquelle: Neidhart von Reuental, Winterlied 8 II / R31

    Eine literarische Parallele, in der der Einsatz eines Werkzeugs Begehren erzeugt, zugleich zur Abwehr körperlicher Zudringlichkeit dient. Das Sänger-Ich buhlt um eine Flachsschwingerin. Diese erwehrt sich der Annäherungsversuche und erweist sich als zu stark für ihn. So erhält er die Schläge und nicht der Flachs.

  • Abb. 9 von 10 - Bildquelle: KLD XLI, aus: Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts, hrsg. von Carl von Kraus

    Das Sänger-Ich berichtet von einer Begegnung mit einer Flachsschwingerin. Ihr swingen wird lautmalerisch auf Textebene wiederholt: "wan si dahs/wan si dahs, si dahs, si dahs". Der Kontext und der weitere Gersprächsverlauf eröffnen abermals einen recht eindeutigen Interpretationsraum. Das Sänger-Ich bleibt hier jedoch erfolglos.

  • Abb. 10 von 10 - Bildquelle: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz (Detail)

    Bild III, 7: das ist warm (SI R PUDRW AT O BRAT VZ BVZ)
    Im letzten Rahmen ist weder vom Bild noch vom Text viel erhalten, was nur noch Spekulationen zulässt. Auch in der Kopie Mosbruggers lassen sich nur noch Textfragmente entziffern. Diese sind jedoch sehr interessant, da zunächst betont wird, dass es warm sei, was noch einmal die Umschreibung hinder dem ofen des vorangehenden Verses aufgreift. Außerdem findet sich das Wort brat ("das Fleisch"), was mit dem dargestellten nackten Frauenkörper korreliert. Das zweite aufschlussreiche Wort ist buz ("der Schlag"), was auf das Schlagen des Hanfs am Anfang verweist, hier jedoch auf den nackten Körper zu beziehen ist und den Kreis in gewisser Weise schließt.