Tugendideal

Die „Frau an der Kunkel“ ist ein Motiv, das sich durch die Kunstgeschichte zieht und als früheste Protagonistin Eva kennt. Maria, von deren kontemplativen Spinnarbeiten die apokryphen Evangelien berichten, ist als neue Eva die positive Umdeutung des negativen Urbilds. Konstant bleibt die Zuordnung zu Gender-Vorstellungen: Noch das Grimmsche Wörterbuch definiert die Spindel als „hervorragendstes frauengerät“ und das Spinnen als „die den frauen eigenthümlichste art sich zu beschäftigen“.

Vor allem Lieselotte E. Saurma-Jeltsch aber auch schon Werner Wunderlich haben daraus die These abgeleitet, dass die Weberinnen im Haus zur Kunkel ein weibliches Tugendideal propagieren. Die Bilder sollen demnach mit Bezug auf die Ikonographie der spinnenden Eva und Maria weibliche Rollenbilder und deren theologische Konnotation vor Augen führen. Auch adligen Frauen wird das Spinnen als kontemplative Beschäftigung empfohlen. Aus dieser Lesart leitet Saurma-Jeltsch ein Gesamtprogramm des Raums ab: die Weberinnen stehen demnach für die tugendhafte vita contemplativa, der Parzivalzyklus mit seinem Tugendideal eines christlichen Ritters für die komplementäre, aber ebenso positiv bewertete vita activa.